Fetish-Fashion – die wunderbare Magie der erotischen Verkleidung
Erotische Fantasien existieren, seit es Menschen gibt. Die Belege hierfür findet man in allen Epochen der Geschichte. Ob erotische Darstellungen auf griechischen Vasen und Gefäßen, die Schilderungen der Mythologie, angefüllt mit schönen Heldenkörpern, lüsternen Nymphen und Faunen oder die schönen, umtriebigen Maiden der mittelalterlichen Schwankliteratur – solange der Mensch masturbiert, blüht die Fantasie. Denken wir doch nur einmal an den Keuschheitsgürtel, eine Idee aus dem Mittelalter, die historisch nachweislich niemals existiert hat, aber bis heute Gegenstand anregender Szenarien ist. Wenn es darum geht, sexuelle Visionen zu entwickeln, spannt sich die Vorstellungskraft an wie ein Muskel und bedient sich an allem, was uns dazu verhilft, in den eigenen Lustwelten zu versinken. Das Gehirn ist schließlich unser wichtigstes Sexualorgan.
Im Bereich des BDSM nehmen Fantasien und inszenierte erotische Szenarien einen hohen Stellenwert ein und sind essentiell für das Ausleben unserer Leidenschaft. Es heißt oft, die Fantasie sei in den Momenten vor und nach dem Ausleben befriedigend, nicht aber im Augenblick des Geschehens. Wie schaffen wir es also, unsere hundertmal im Kopf erlebte Vorstellung in die Realität zu bringen und erfüllend zu genießen?
Ich kann mich erinnern, mit einem Mann, den ich im Internet kennengelernt hatte, täglich sexuelle Fantasien ausgetauscht zu haben – per Email, Textnachricht und sogar über Videochat. Meine Begierde wuchs mit jedem Tag und meine ganze Gedankenwelt drehte sich um den Moment, in dem wir endlich die Gelegenheit haben würden, unsere gemeinsam erdachten Szenarien in die Wirklichkeit zu bringen und ein atemberaubendes Feuer der Leidenschaft zu entfachen. Ich war süchtig nach seinen Nachrichten und klebte fast nur noch an meinem Smartphone, um jedes seiner Worte begierig in mich aufzusaugen. Ich war nass zwischen den Beinen, alleine beim Gedanken daran, ihn zu treffen.
Die Ernüchterung kam schnell. Trotz aller Bemühungen war das Feuer zu Asche verkümmert, in dem Augenblick, in dem wir zusammen im Hotel landeten. Monate voller ekstatischer Vorfreude einfach ausgelöscht. Ich habe lange überlegt, was schief gelaufen war und kam zu dem Schluss, dass ich damals einfach zu sehr ich selbst gewesen war, um ganz entspannt zu dem Konstrukt in meiner und seiner Vorstellung zu werden. Zu dieser unglaublich verführerischen, unterwürfigen Frau, die sich nichts mehr wünscht, als ihre Erfüllung in Gehorsam und Leid zu finden und verrückt ist nach Sex.
Soviel zur Theorie. Im wirklichen Leben war ich gestresst von der Reise, hatte eine unglaublich knoblauchlastige Pizza gegessen, die mir einen muffigen Geschmack im Mund bescherte, und mir überdies vor Aufregung vier Fingernägel komplett abgekaut. Ach ja, außerdem ließ mein Deo nach und ich hatte einen Pickel am Kinn, der sich einfach nicht abdecken ließ. Es lief schlichtweg alles nicht so ab, wie ich es mir vorgestellt hatte und die angestaute Lust hatte sich plötzlich in Luft aufgelöst. Ich war enttäuscht und frustriert, hatte ich doch solch hohe Erwartungen in die Begegnung gesteckt, die dann für beide Seiten unbefriedigend endete.
Einige Zeit später entdeckte ich, dass es mir wesentlich leichter fiel, meine Fantasie auszuleben, wenn ich selbst zu einer wurde. Wenn ich nicht ich selbst war, sondern eine frisch geduschte, in exotische Dessous gehüllte und aufwändig zurechtgemachte, parfümierte Feengestalt.
Ich konnte plötzlich loslassen, alles genießen, was mit mir geschah, ohne den Gedanken daran, dass es eigentlich nicht echt ist. Es wurde für mich in diesem Moment zur Wahrheit und ich konnte es endlich vollkommen auskosten. Ich war ein Produkt, geschmückt und verziert, um meinem Herrn zu gefallen und konnte mich dem Vergnügen der Unterwerfung hingeben, ohne ständig daran denken zu müssen, ob es der Katze gut geht oder ob für die kommende Woche noch Termine anstehen, die ich vergessen habe. Auf einmal war ich eins mit meinem Schmerz und meiner Hingabe. Das war unglaublich befreiend.
Ich denke, genau das macht die Magie der Fetischkleidung aus. Es ist wie eine Art Zaubermantel, in den man hineinschlüpft und plötzlich in anderen Welten wandeln kann.
Eine Corsage, die selbst einem Mann weibliche Form aufzwingt, schwindelerregend hohe Schuhe, die definitiv nicht zum Laufen geschaffen wurden, enges Latex, das einen bei jeder Bewegung ins Schwitzen bringt. Perücken, Glitter und lange, elegante Kleider, die heutzutage eigentlich nirgendwo mehr hinpassen, es sei denn, man ist zu einer Hochzeit eingeladen. Alles Produkte, die uns unseren Fantasie näherbringen und einen gewissen Zauber besitzen, dem man sich unmöglich entziehen kann und der sich wie ein Weichzeichner über die Ecken und Kanten der Realität legt.
Vielleicht lieben wir deswegen auch die Vorstellung des Keuschheitsgürtels so sehr – er ist ein Produkt der Fantasie, dem die Zeitreise in unsere Realität gelungen ist und der nun in zahlreichen Varianten unsere Spielwelt bereichert.
BDSM ist beinahe wie ein Theaterstück, in dem es auf das Bühnenbild, die Kostüme und die Schauspieler ankommt, damit aus einer Idee ein befriedigendes Erlebnis wird. Wäre es nicht schön, wenn wir alle mehr zu Sagengestalten würden, anstatt uns darüber Gedanken zu machen, was der Nachbar von uns denkt, ob wir genug Versicherungen abgeschlossen haben oder wer unsere Posts auf Facebook geliked hat? Uns treiben ließen, während wir uns hinter Masken verstecken und vorgeben, jemand oder etwas zu sein, das wir sein möchten? Einfach die Scham beiseite schieben, die Lust begrüßen und Spaß haben.
Die Vanillas schlüpfen jedes Jahr einmal im Rahmen des Karnevals in eine andere Rolle. Lassen sich gehen und benehmen sich, wie sie möchten. Ist es nicht toll, dass wir als BDSMler jeden Tag die Möglichkeit hierzu haben. Wir sind heute das unartige Schulmädchen, morgen die unnahbare Femme Fatale und übermorgen der geheimnisvolle englische Gentleman, der den Rohrstock zückt, um ungebührliches Verhalten zu bestrafen. Eigentlich spielen wir doch auch im Alltag so oft eine Rolle, dass wir uns das Vergnügen ruhig gönnen können, nicht wir selbst zu sein, so oft wir Lust dazu haben.